Obstbrand herstellen ist Männersache und gehört nicht in den Norden. Brigitta Rust hat mit diesen Vorurteilen aufgeräumt.
Im Salzburger Land, wo ich lebe, gibt es eine große Anzahl an Brennereien. Viele Obstbauern besitzen eigene Brennrechte. Ich kaufe gern einen hochalpinen Zirbenbrand. Er wird aus den Zapfen der Kiefern gewonnen, die hier wachsen und schmeckt hervorragend. Genau 675 Kilometer gen Norden kann man exquisite Obstbrände bei Brigitta Rust in Bremen kaufen. Seit 2011 ist sie nördlich der Mainlinie die einzige Obstbrennerin mit staatlich geprüftem Gewerbeschein. Ein Gespräch über Fischköpfe, beißende Aromen und 64 Plomben.
Welt am Sonntag:
Brigitta Rust, wie geht es Ihrer Leber?
Brigitta Rust: Der geht es hervorragend. Ich habe gerade einen Check gemacht. Die Leber wird ganz bestimmt nicht von meinen Obstbränden in Mitleidenschaft gezogen. Wenn, dann eher vom Wein.
Sind Sie in Ihrem Job nicht manchmal „angetütelt“?
Das ist echt nicht der Fall. Ich rieche sehr viel. Es wird fast alles über die Nase gemacht. An bestimmten Stellen allerdings muss ich Entscheidungen treffen. Dann probiere ich auch.
Wie kommt man als Frau auf die Idee, Obstbrennerin zu werden?
Ich war mehr als 20 Jahre als Unternehmensberaterin in Hamburg tätig. Dann kam die Finanzkrise, und plötzlich hatte ich Zeit und eine Abfindung.
Das Geld hätte man aber auch anders investieren können?
Dazu gibt es eine Vorgeschichte. Mein Vater ist mit einer Österreicherin verheiratet und lebt am Mondsee. Bei Besuchen brachte er stets leckere Destillate mit. Ich habe mir irgendwann eine Tisch-Destillation gekauft und festgestellt, das macht Spaß!
War es schwer, das Handwerk einer Obstbrennerin zu erlernen?
Hier im Norden gibt es ja keine Ausbildungsmöglichkeiten. Ich bin dann in Bayern fündig geworden und habe dort eine zweijährige Ausbildung absolviert. Der Lehrgang war nur für bayerische Obstbauern gedacht, die kleine Brennrechte haben. Das war eine vom Bundesland Bayern subventionierte Ausbildung.
Und wie haben die Bayern auf Sie reagiert?
Die haben mit so einem Fischkopf wie mir nicht gerechnet und mir erst mal gesagt, dass ich als Nordlicht dort nicht mitmachen kann.
Was haben Sie getan?
Ich hatte Glück, der Obstbrenner-Kurs wurde nicht voll. Ich bin dann genommen worden, durfte aber keine Gesellenprüfung mitmachen.
Warum das?
Mir fehlten vier Jahre Brennerfahrung. Die habe ich durch Weiterbildungen bei Spitzenbrennern in Oberösterreich, Südtirol und im Schwarzwald mehr als wettgemacht. Diese zusätzlichen Brennstunden habe ich mir testieren lassen. Damit habe ich bewiesen, dass ich in einem Sommer mehr gebrannt habe, als ein kleiner Obstbauer, der über vier Jahre lang einmal im Jahr seine kleine Zwetschge brennt.
Wie war das als Frau allein unter Männern?
Nicht nur allein unter Männern, sondern auch als Norddeutsche unter männlichen Bayern. Das kam noch dazu, und die haben mich erst überhaupt nicht für voll genommen.
Warum?
Die hatten alle Brennerfahrung. Nach einem Jahr Ausbildung war aber klar, „Mensch, die meint es ja ernst“.
Wie ging es weiter?
Zum Schluss hatten wir ein freundschaftliches Verhältnis. Ich habe sogar bei einigen Obstbauern zu Hause brennen dürfen und weitere Praxis gesammelt.
Wann sind Sie so richtig für voll genommen worden?
Als mich der Brennkurs mit 50 Leuten vom Fränkischen Kleinbauernverband hier in Bremen in meiner Brennerei und meinem Geschäft besuchte. Das hat sie sehr beeindruckt.
Warum haben Sie Ihre Brennerei in Bremen eröffnet?
Ich bin geborene Bremerin, das Geschäft läuft sehr gut. Es hat meine Erwartungen übertroffen.
Wer sind Ihre Kunden?
Die Sterne-, Spitzen- und gehobene Gastronomie, Feinkostgeschäfte, Wein- und Spirituosenfachgeschäfte.
Wie haben Sie für sich geworben?
Angefangen habe ich dort, wo Multiplikatoren sind. Meine vertriebliche Tätigkeit habe ich auf der Insel Sylt angefangen und ausgebaut. Ich wurde gleich von Johannes King vom „Söl‘ring Hof“ in Rantum unterstützt. Für diesen Zwei-Sterne-Koch habe ich auch ganz spezielle Brände entwickelt.
Was für Brände?
Einen Selleriegeist. Den bietet er zur Matjeszeit an. Später war ich sogar in Drei-Sterne-Restaurants auf Sylt. Das sind alles tolle Referenzen.
Woher beziehen Sie Ihr Obst?
Ich sitze in Bremen am Europahafen und beziehe mein Obst aus ganz Europa. Ich bekomme auch Ware aus Veitshöchheim im Fränkischen, dort habe ich meine Ausbildung zur Obstbrennerin gemacht, aber auch aus Oberösterreich. Und die französische Riesenaprikose beziehe ich aus Südfrankreich.
Kein Obst aus dem Norden?
Doch, den Finkenwerder Herbstprinz aus dem Alten Land. Das ist eine rekultivierte Apfelsorte. Der Sanddorn kommt aus Mecklenburg-Vorpommern.
Was für Wildfrüchte brennen Sie?
Schlehe, Hagebutte, die Waldhimbeere und jetzt ganz neu, auch den Sanddorn.
Eignet sich jede Frucht?
Nein. Wenn ich einen Brand erzeugen will, kann ich nur Früchte nehmen, die Fruchtzucker haben, sonst kann ich keinen Gärprozess einleiten. Schlehe und Hagebutte gehen, die Ausbeute ist sehr gering. Das Aroma dagegen sehr schön.
Wie lange dauert es, bis ein Brand fertig ist?
Ich brenne immer zweimal. Das habe ich in Österreich gelernt. Das Zweimal-Brennen ist sehr traditionell, dauert viel länger und verbraucht mehr Energie. Die Brände werden dadurch aber milder, das Aroma kann sich mehr entfalten.
Wie hochprozentig sind Ihre Brände?
Wenn ich den Feinbrand destilliere, dann lagere ich den Alkohol bei 80 bis 82 Volumenprozent. Dann stelle ich den Alkohol auf eine Trinkstärke von 40 Prozent ein.
Mischen Sie die Brände auch mit Wasser?
Ja, ich habe hier in Bremen das Glück, unser Leitungswasser nehmen zu können. Das kommt aus Bruchhausen-Vilsen, ist Quellwasser und sehr weich. Meine Brennkollegen im Süden Deutschlands haben da eher ein Problem.
Was für ein Problem?
Sie können ihr Leitungswasser zum Brennen nicht nehmen, weil es zu kalkhaltig ist. Die Kollegen müssen das Wasser dazukaufen. Es soll grundsätzlich nur mineralisches Wasser und kein destilliertes Verwendung finden.
Was kostet ein halber Liter Brand bei Ihnen?
Ein halber Liter Mirabellenbrand kostet bei mir 40 Euro. Mein Hagebuttenbrand schlägt mit 120 Euro zu Buche.
Wie viele Brände haben Sie jetzt in Ihrem Sortiment?
Ich habe augenblicklich zwölf Brände. Als 13. kommt der Sanddornbrand dazu. Ich hoffe, das ist kein schlechtes Omen. Außerdem biete ich noch sechs Fruchtliköre und einen Magenbitter an.
Was ist der Unterschied zwischen einem Brand und einem Likör?
Für den Likör benötige ich keine Destillationsanlage. Er besteht aus mehreren Komponenten, die man zusammenführt. Ein Likör wird grundsätzlich aus Neutralalkohol produziert. Der Geschmack kommt ausschließlich durch den Fruchtsaft. Ich verwende als Alkoholbasis den jeweiligen Brand, so wird der Geschmack des Likörs intensiviert.
Kann man als Neuling vom Obstbrennen leben?
Ja, das geht nach einem Dreivierteljahr. Ich wollte mir eine neue Existenz aufbauen. Das habe ich geschafft.
Darf jeder Obst brennen?
Die Brennrechte, die die Obstbauern im Süden haben, sind eingeschränkt. Sie dürfen nur brennen, was sie auch selbst anbauen. Insgesamt nur 300 Liter pro Jahr. Der Vorteil ist, dass sie einen minderen Steuersatz haben. Das Brennrecht ist wie eine kleine Subvention.
Und wie ist es bei uns im Norden?
Das gibt es bei uns nicht. Außerdem habe ich kein eigenes Obst. Ich habe eine gewerbliche Verschlussbrennerei.
Was heißt das?
Bei mir wird der Alkohol nicht durch Anmelden eines Brandes pauschal versteuert. Meine Brennanlage ist verplombt.
Wieso das?
Meine Anlage hat 64 Plomben. Der Alkohol wird über eine Messuhr erfasst. Ich muss jeden Tropfen versteuern.
Warum nennen Sie Ihr Geschäft „Piekfeine Brände“?
Der Name sollte hochwertig, aber auch Norddeutsch sein und nicht hochnäsig wirken. Ich habe dafür viel Lob bekommen.
Was ist Ihr Lieblingsbrand?
Die Quitte. Die Verarbeitung ist sehr aufwendig, weil die Frucht steinhart ist. Wenn der Feinbrand hergestellt wird, riecht das in meiner Brennerei wie feinstes Parfüm. Ich mag dieses Aroma und den Geschmack sehr.
Was trinken Sie zu Hause?
Wasser, gelegentlich Wein. Nach dem Essen abends natürlich auch mal einen meiner Brände oder Liköre.
Wann trinkt man einen Brand?
In der Regel ist das ein Digestiv. Wobei das Restaurant „Carl’s“ in Hamburg so begeistert von meinem Haselnussgeist ist, dass es ihn auch als Aperitif anbietet.
Norbert Vojta ist Journalist und Honorarprofessor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg