Birgitta Schulze van Loon setzt mit Piekfeine Brände hochprozentige Akzente. Manche ihrer Destillate sind inzwischen preisgekrönt.
Es gab eine Zeit, da hätte Birgitta Schulze van Loon ihrem alten Chef am liebsten in den Hintern getreten. 2008, das Jahr der großen Finanzkrise, trifft auch die Unternehmensberatung, für die Schulze van Loon, die damals noch Rust heißt, seit 20 Jahren in Hamburg arbeitet. Sie muss gehen. Was sich in dem Moment wie der Tiefpunkt der beruflichen Laufbahn anfühlt, soll wenig später der Startpunkt für die Verwirklichung ihres Lebenstraumes werden. Heute ist Schulze van Loon Chefin der Obstbrennerei Piekfeine Brände in der Überseestadt. In Norddeutschland ist sie damit eine der Ersten überhaupt.
„Ich liebe das, was ich mache“, sagt Schulze van Loon. Sie sitzt an einem von vier langen Tischen, der Ort hier dient als Büro und Tagungsraum, eignet sich aber auch hervorragend für ein geselliges Beisammensein. An der robusten Holzvertäfelung hängen Dutzende von Herzchen, auf dem Regal darüber sind kugelige Glasbehälter aufgereiht. Tatsächlich sitzt man hier regelmäßig zusammen; in Seminaren zum Whisky-Tasting, in Workshops zum Selber-Destillieren, aber auch einfach zum Reden und zur Anregung.
Die Räumlichkeiten an der Hoerneckestraße sind ein Ort für die Sinne. Für die Augen, die Nase, die Ohren. Für die Augen, weil es viel zu entdecken gibt. In den Regalen lagern hunderte Fläschchen mit Likören, Bränden, Gin und Whisky. Schlanke Hälse, dicke Bäuche, bunte und verspielte Etiketten, schlichte und elegante Designs. Weizenkorn mit regionalem Honig zum Beispiel, „Mädelskorn“, wie Schulze van Loon ihn nennt. Außerdem Brände: Spargelgeist, Rote Beete, Sellerie, Hagebutte, Quitte, Apfel.
GEBRANNT MIT HERZ UND HAND
Für die Nase: Schulze van Loon schraubt gern die Deckel ab und lässt ihre Kunden schnuppern. Spargelgeist – tatsächlich mit deutlich spürbarer Spargelnote. „Oder hier, der Zwetschgenbrand“. Schließlich etwas für die Ohren: Rechts vom Eingang wird gebrannt. Hier brodelt es in den Tanks, Mitarbeiter nehmen Proben, füllen nach, veredeln. Ein paar Schläuche, Eimer und Pumpen, alles sehr aufgeräumt, dazu Edelstahltanks, sie fassen 750 Liter, 1000 Liter. „Gebrannt mit Herz und Hand“ steht oben an den Kesseln.
Den Standort für ihr Geschäft hat Schulze van Loon mit Bedacht gewählt. Piekfeine Brände sitzt im Europahafen in dem ehemaligen Lager eines Weinimporteurs. Die Fassade ist komplett verglast, von innen geben die Fenster den Blick frei auf das Hafenbecken, von außen kann der Besucher sehen, was ihn erwartet. Hier haben früher die Schiffe angelegt, sind Tee, Kaffee und Bier umgeschlagen und hergestellt worden. Tee, Kaffee und Bier – damit kombiniert Schulze van Loon auch ihre Brände.
Ein norddeutsches Statement und eine Erinnerung an die Geschichte Bremens; Gin mit Kaffee-Note, Tee mit Gin, Gin mit Hopfen. Mit der Union-Brauerei arbeitet sie seit einiger Zeit eng zusammen. Auf dem Union-Gelände in Walle deponiert Schulze van Loon jetzt ihre Fässer, dort lagern Whisky und Rum; ein Single Malt Whisky zum Beispiel, drei Jahre gereift in Rotwein- und Bourbonfässern. Seit zwei Jahren füllt sie auch fünfjährigen Whisky ab. Nur die Zuckerrohr-Melasse kommt von weiter her, aus Guatemala.
SCHNÄPSE UND LIKÖRE HABEN KEINEN LEICHTEN STAND IN DEUTSCHLAND
Als Schulze van Loon am 11.11.2011 um 11.11 Uhr – so viel Schnapszahl musste sein – ihr Geschäft eröffnete, war nicht abzusehen, wie es sich entwickeln würde. Schnäpse und Liköre haben keinen leichten Stand in Deutschland. Die Deutschen trinken seit Jahren immer weniger Spirituosen, aber wenn, dann am liebsten Wodka, gern auch noch Whisky und Gin, um dieses Duo ist in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hype entstanden. Weinbrände und Klare haben es dagegen schwer.
Piekfeine Brände hat sich etabliert. Im siebten Geschäftsjahr beschäftigt Schulze van Loon sieben Mitarbeiter, sie brennen cirka 7500 Liter Hochprozentiges im Jahr. Piekfeine Brände beliefert Kunden – Restaurants und Bars, Sommeliers und Hoteliers – von Sylt bis Passau. Schwerpunkt ist aber eindeutig der Norden, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen. Dass sie ihre Nische gefunden hat, führt Schulze van Loon auch auf ihre Lust am Experimentieren und ihren Drang zur ständigen Veränderung zurück.
Dabei geht längst nicht alles, was sie ausprobiert, auch in Produktion. Die Sache mit dem Grünkohl zum Beispiel, die hat sie gelassen. Den Ansatz hält sie noch heute für gar nicht so verwegen: Norddeutschland, Winter, Grünkohlzeit, dazu ein Schnäpschen? Bei einem ihrer Workshops ließ sie das ausprobieren, aber als sie die Flüssigkeit mit Grünkohl-Nuance dann schmeckte, war schnell klar: „Nee, den Weg gehen wir nicht weiter.“
NICHT GÜNSTIG, ABER PREISGEKRÖNT
Dafür haben andere Brände haben ihren Weg ins Sortiment gefunden, das inzwischen preisgekrönt ist. Zuletzt sind ihr Birnenlikör, ihr Orangenlikör mit Singe-malt und ihr Triple Peak Gin prämiert worden. Das „Piekfein“ in Piekfeine Brände meint „besonders mild“, sagt Schulze van Loon. Piekfein ist aber auch edel und entsprechend haben die Brände ihren Preis. Ein halber Liter vom Orangen-Likör kostet 33,50 Euro, der Walnussgeist 45 Euro, für andere Ein-Liter-Abfüllungen kann man auch locker über 100 Euro bezahlen. „Piekfeine Brände trinkt man nicht, um sich zu betrinken, sondern um zu genießen“, sagt Schulze van Loon, die sich auf ihrer Homepage „Botschafterin für Feintrinkkultur“ nennt.
Gelernt hat die studierte Betriebswirtin das Brennen von der Pieke auf. Als sie noch in ihrem alten Beruf arbeitete, tüftelte und destillierte sie in ihrer Freizeit zu Hause am Küchentisch. Als klar war, dass sie daraus ein Geschäft machen würde, meldete sie sich zu einer Ausbildung an der Bayrischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau an. Regelmäßig fuhr sie zu Seminaren nach Würzburg, nach zwei Jahren hielt sie ihren Gesellenbrief in den Händen. Dabei hatte man sie dort anfangs gar nicht haben wollen. Obstbrände sind in Bayern, Baden-Württemberg und Österreich ein Stück Hochkultur. Und nun kommt jemand aus Norddeutschland? Und dann auch noch eine Frau?
Tatsächlich war Schulze van Loon am Ende eine von nur drei Frauen unter lauter gestandenen bayerischen Mannsbildern. Aber sie hat sich durchgesetzt. Als sie 2011 ihre Anlagen am heutigen Standort aufbaute, half ihr ein Kollege dabei, der mehrmals extra aus dem Schwarzwald anreiste. Zwei Jahre später hatte Birgitta Schulze van Loon mit ihrem Schlehenbrand ihre erste Auszeichnung gewonnen.